Trauer um
Jean-Marie Straub
Das europäische Kino hat seinen fundamentalistischsten Filmemacher am Wochenende verloren. Mit fast 90 Jahren stirbt der Franzose Jean-Marie Straub (1933-2022) am schweizerischen Ufer des Genfersees.
Bis 2006 war dieser Nonkonformist unter dem Doppelnamen Straub-Huillet (seine Frau und Partnerin) bekannt, und die beiden haben Wesentliches zum 'Neuen deutschen Film' und zur 'Nouvelle Vague' beigetragen. In Italien haben sie sich am Fuße des Äthna („Sicilia“, 1998) und in Rom („Othon“, 1970) ausgetobt in ihrem formalen Minimalismus, der keine Affinität zum Illusionskino Hollywoods zulässt. Höhepunkt der Karriere der beiden war wohl die Neuinterpretation von Leben und Schaffen von Johann Sebastian Bach in „Chronik der Anna Magdalena Bach“ (1967). Marguerite Duras meinte: „Seid nicht dumm, schaut euch 'Othon' an.“
Sein erster Film war der Kurzfilm „Machorka-Muff“ (1962) über die Kriegserinnerungen von Oberst Erich von Machorka-Muff nach Bölls Erzählung „Hauptstädtisches Journal“, über den der Filmhistoriker Enno Patalas meinte, man sollte Bölls Buch nochmals lesen, „weil es sich durch Straubs Film verändert hat“. Nach 1954 war Straub Assistent unter anderem bei Abel Gance, Jean Renoir und Robert Bresson. Nach Deutschland kam er, weil er den Militärdienst im Algerienkrieg verweigerte. Bei den Filmfestspielen von Venedig 2006 erhielten Straub-Hulliet den Preis für „Erfindung filmischer Sprache in ihrem Werkganzen.“ Große Retrospektiven wurden den beiden im New Yorker MoMa, im Pariser Centre Pompidou und bei der Viennale gewidmet. Eines der vielen Mottos der beiden: das Unwichtige vom Wesentlichen trennen. (gro)
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